Geschichtlicher Rückblick

Einleitung
?

An einem herrlichen Oktobertag des Jahres 1898 lag gespannte Ruhe über Jerusalem. Wieder einmal wurde in der Stadt Geschichte geschrieben. Die Protestanten feierten das Reformationsfest, und aus Deutschland war eigens Kaiser Wilhelm II. angereist, um in der Altstadt ihr neues prächtiges Gotteshaus einzuweihen – die Erlöserkirche. Ihr schlanker Turm überragt die ehrwürdige Grabeskirche, das alte Zentrum der Christenheit in Jerusalem. Die beiden Bauwerke liegen fast nebeneinander. Beide Konfessionen wollten so nahe wie möglich an dem mutmaßlichen Ort bauen, wo Jesus einst gekreuzigt und begraben wurde – und wo er am Ostermorgen auferstanden sein soll.

Über diese Frage hatten Katholiken und Protestanten allerdings jahrzehntelang heftig gestritten. Während sich die Katholiken gemäß den Traditionen ihrer Kirche sicher waren, dass sich Golgatha, also der Hinrichtungsort Jesu, inmitten ihrer Grabeskirche in der Altstadt befinde, bezweifelten das die Protestanten. Nach zeitgenössischen römischen und jüdischen Gebräuchen, so meinten sie, musste der Kreuzigungsplatz außerhalb der bewohnten Stadt gewesen sein, sie vermuteten eine bestimmte Stelle nördlich der Mauern. Um den Streit beizulegen, war es also wichtig, herauszufinden, wo exakt die Stadtmauer zur Zeit Jesu gelegen hatte.

Bei den Ausschachtungsarbeiten für die neue Kirche geschah nun die Sensation: Bauarbeiter stießen auf eine Mauer, die deutsche Gelehrte als die antike Stadtmauer identifizierten, von der schon der jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius berichtet. Mit Hilfe einer neuen Wissenschaft, der Archäologie, war damit der Streit beigelegt. Protestanten wie Katholiken gingen daraus gemeinsam als Sieger hervor: Der Ort der Grabeskirche hatte also zu Lebzeiten Jesu tatsächlich außerhalb der Altstadtmauer gelegen, und das Grab darin schien richtig lokalisiert. Die neue Kirche wurde in dem frommen Glauben eingeweiht, ihr Grundstein ruhe auf der alten Stadtmauer aus Jesu Zeiten.